"Was fehlt, ist der Blick auf die soziale Infrastruktur"

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Interview mit der Gleichstellungsbeauftragten Manuela Dörnenburg über feministische Perspektiven im Brandenburgischen Strukturwandel

Manuela Dörnenburg, Gleichstellungsbeauftragte für das Land Brandenburg, war im Gespräch mit Marius Koepchen von der Universität Flensburg zum Thema Gleichberechtigung im Strukturwandel. Klar wurde: ein alleiniger Fokus auf wirtschaftliche Entwicklungen in der Lausitz wird nicht genug sein, um in der Region den nötigen Wandel anzustoßen – Entscheidungsprozesse brauchen eine soziale Perspektive.

Welche genderpolitischen Fragen sehen Sie im Strukturwandel in der Lausitz? Was sind Ihre Aufgaben als Gleichstellungsbeauftragte des Landes Brandenburg?

Meine Aufgaben sind verschieden. Da ist zum einen der Kontakt zu den kommunalen und behördlichen Gleichstellungsbeauftragten, deren Ansprechpartnerin ich bin. Dabei geht es vor allem um den fachlichen Austausch, aber auch um Probleme, die die Kolleginnen in ihren jeweiligen Behördenstrukturen haben. Zum anderen informiere ich die Öffentlichkeit zum Thema Gleichstellung. Das ist ein weites Feld und bietet viel Raum, weil die Gleichstellung von Frauen und Männern eine klassische Querschnittsaufgabe ist, sodass kein politischer oder sozialer Bereich davon unberührt ist.

An den Aufgaben der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten kann man die Weite des Aufgabenfelds Gleichstellung besonders gut illustrieren. Die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten sind die Hüterinnen in ihren Verwaltungen, dass die Themen Vereinbarkeit von Familien und Beruf, gendergerechte Sprache, aber auch die möglichst paritätische Besetzung der Führungsebenen präsent sind. Andererseits tragen sie das Thema durch Veranstaltungen, Presse- und Vernetzungsarbeit in die örtliche Bevölkerung und arbeiten dafür mit sehr unterschiedlichen Menschen und Institutionen zusammen, zum Beispiel mit Seniorinnen oder Kindergartenkindern. Die Frage ist: Wie kriegen wir eine Gender-Perspektive in die Erziehungs- und Sozialstrukturen hinein? In dieser Vielfalt der Bevölkerungsgruppe, Mädchen und Frauen von 0 bis 100 Jahren, finden wir alles!

Die genderpolitische Frage im Lausitzwandel beginnt genau dort, wo die Menschen in der Lausitz leben und von dem Strukturwandel betroffen sind. Wir wissen, dass Lebensumstände von Frauen und Männern grundsätzlich unterschiedlich sind und die Frage ist, inwieweit das bei den Programmen und Fördermitteln in der Lausitz Beachtung findet.  

Das Bündnis der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten der Lausitz kritisiert genau diesen Punkt. Frauen werden, so deren Erfahrung, in ihren besonderen Belangen nicht berücksichtigt und auch nicht beteiligt. Deshalb, so die Kritik, laufen die Prozesse des Strukturwandels an den Bedürfnissen der Hälfte der Bevölkerung vorbei mit der Konsequenz, dass vor allem junge und gut ausgebildete Frauen die Lausitz verlassen.

Diese Prozesse sehe ich auch und unterstütze daher das Bündnis der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten der Lausitz.

Welche Bedarfe sehen Sie in der Lausitz und wie können die Strukturwandelgelder dabei helfen? Wie kann Ihrer Vorstellung von dem guten Leben in der Lausitz nähergekommen werden?

Es geht nicht um meine Vorstellungen von einem guten Leben oder dass ich Bedarfe definiere. Wichtig ist, dass im Strukturwandelprozess die betroffenen Menschen ihre Bedarfe äußern können, und dass diese Sichtweisen auch ernst genommen werden.

Die Strukturwandelgelder werden in Brandenburg zum Teil im Rahmen eines Werkstattprozesses vergeben. In den Werkstätten, die nach Themengruppen geteilt sind, sitzen Menschen aus der Wirtschaft, Vereinen, Institutionen, Kommunen aber auch Ministerien. Sie alle sind Fachleute und bringen ihre Expertise bei der Beurteilung der Projektanträge ein. Die Anträge werden von Unternehmen, Vereinen oder anderen Akteur*innen gestellt und erhalten von der Wirtschaftsregion Lausitz GmbH Unterstützung. Das ist erstmal ein guter und transparenter Prozess.

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Manuela Dörnenburg. Foto: https://msgiv.brandenburg.de/msgiv/de/beauftragte/landesgleichstellungsbeauftragte/

 

Die Fragen, die sich mir in dem Zusammenhang stellen, sind die nach den Kriterien, wonach ein Antrag auf Geschlechtergerechtigkeit überprüft oder eben auch nicht überprüft wird. Wer von der Bevölkerung ist wie von dem jeweiligen Projekt beeinflusst und hat etwas davon? Jeder Antrag müsste auf diese Frage geprüft werden und dazu braucht es wiederum Fachleute, die das bewerten können. Die gibt es meines Erachtens nicht. Das ist ein schwieriger Sachverhalt, weil wir damit dem gesetzlichen Auftrag nach Artikel 3 Grundgesetz, nämlich die Gleichheit zwischen Frauen und Männern herzustellen, nicht nachkommen.

Wenn wir also den Bedarf nach mehr Geschlechtergerechtigkeit im Prozess des Strukturwandels ausmachen, dann kann ich im Moment nicht sagen, wie in diesem Punkt die Gelder derzeit helfen. Es müssten oben beschriebene Kriterien zur Beurteilung von Projekten definiert und angewendet werden, es könnten aber auch entsprechende Genderprojekte entwickeln und bewilligt werden. Dazu bräuchte es wiederum Projektträger.

Eine Entwicklung hin zu dem Beschriebenen finde ich sehr wichtig. Gleichzeit ist das aber eher eine Metaebene. Das, was die Bevölkerung an Bedarfen sieht, ist dadurch nicht gehoben. Durch den Wegfall der Braunkohle wird sich die Wirtschaft in der Lausitz massiv verändern. Darauf wird ein starker Fokus gelegt. Aber was ist mit all den Menschen, und das sind vor allem Frauen, die nicht in der Braunkohle oder den Zulieferbetrieben arbeiten. Was ist im Rahmen des Strukturwandels mit all denen die im Dienstleistungs-, gesundheitlichen oder Bildungsbereich arbeiten? Welche Perspektiven zeigen wir auf, damit gerade die jungen Frauen die Lausitz nicht weiter verlassen, wie es in den letzten Jahren erfolgt ist?

Die Frage nach einem guten Leben kann in Bürgerbeteiligungsprozessen gut erarbeitet werden. Aber Bürgerbeteiligung ist nicht einfach so gemacht. Wer wird wie beteiligt? Wer kann sich wie äußern? Haben die meist weniger laut artikulierenden Frauen die gleiche Chance sich einzubringen, wie Männer? Wie erreiche ich die Menschen überhaupt?

Diese Überlegungen müssen der Bürgerbeteiligung vorweggestellt werden. Als ehemalige kommunale Gleichstellungsbeauftragte habe ich mit einem Kollegen zusammen ein Bürgerbeteiligungskonzept aufgebaut mit dem Ansatz des Losverfahrens, um sehr unterschiedliche Menschen in den Prozess einzubinden. Diese Prozesse brauchen aber viele Ressourcen, viel Zeit und ein politisches Umfeld, das bereit ist, die Ergebnisse dann auch anzunehmen.

An der Frauentagsveranstaltung in Altdöbern haben wir gesehen, wie dankbar die Frauen waren, dass sie gefragt wurden, wie sie ihre Umwelt gestaltet haben wollen. Vor allem die Älteren unter ihnen haben gesagt: Toll! Das habe ich jetzt mal sagen können und sehe auch, dass jüngere Frauen meine Meinung ernst nehmen. Genau das braucht es.

Wo sehen Sie die Ursachen für die Abwanderung gerade von jungen Frauen oder auch von Frauen allgemein aus der Region?

Während einige Studien aussagen, dass die Abwanderung von Frauen aus der Region aufgrund fehlender Perspektiven passiert, ist uns, beim genaueren angucken, klargeworden, dass wir eigentlich keine spezifischen Daten haben. Deshalb ist es wichtig, dass man bei diesem Thema zwischen ganz normalen Prozessen in der Entwicklung von Menschen und lausitzspezifischen Problemen unterscheidet.

Es ist durchaus üblich, dass junge Menschen die Region, in der sie aufgewachsen sind, verlassen, um etwas Neues kennenzulernen, zu studieren oder um eine Ausbildung zu machen. Es ist ebenso normal, dass einige von ihnen dann nicht mehr zurückkommen, weil sie jemanden kennenlernen und woanders ihre Familie aufbauen. Interessant ist aber doch, dass das bei den Frauen in der Lausitz häufiger vorkommt als bei den Männern.  Es kommen auch weniger zurück und da sollte schon gefragt werden, warum das so ist.

Bieten wir innerhalb der Lausitz und dieser Altersentwicklung genügend Signale, dass Menschen zurückkommen oder neu herziehen wollen? Da müssen wir ehrlich sagen, dass die Strahlkraft der Lausitz auch überschattet ist von dem Problem der nationalistischen Strukturen vor Ort, das Leute aus Metropolregionen abschreckt. Mit der Arbeit der Koordinierungsstelle „Tolerantes Brandenburg“, der RAA oder den Projekten, welche im Rahmen des Bundesprogrammes „Demokratie leben!“ gefördert werden, wird schon viel getan. Dennoch scheint das ein nicht unerheblicher Faktor zu sein, der Menschen davon abhält in die Lausitz zu ziehen, weil sie sich entweder daran erinnern, wie es in ihrer Jugend war, bevor sie weggezogen sind, oder es von woanders mitbekommen.

Darüber hinaus suchen junge Menschen in ihrem Zuhause ein umfangreiches kulturelles Angebot, dass sie häufiger in Städten finden können, da es dort mehr Theater und Museen gibt. Das bringt uns wieder zur Thematik der sozialen Infrastruktur aus der vorherigen Frage. Ein reiner Fokus auf einen wirtschaftlichen Strukturwandel der Lausitz vernachlässigt nicht nur den Aufbau einer sozialen Infrastruktur, sondern auch den einer kulturellen Infrastruktur. Um Menschen also neu oder wieder in die Region zu locken, benötigt es eine Kombination von Maßnahmen, die Frauen mehr Perspektiven auf ein modernes und kulturelles Leben in der Region geben, zum Beispiel über Fördergelder für lokale Bühnen. 

In Bezug auf die von Ihnen angesprochenen Veränderung, die es ihrer Meinung nach in der Lausitz bräuchte: Welche Utopien oder Zukunftsvorstellungen sehen Sie im Diskurs um den Strukturwandel in der Lausitz? Und welche Bereiche des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens profitieren gerade von den Fördergeldern?

Die Debatte um den Strukturwandel in der Lausitz dreht sich am meisten um die Frage, wie man die existierenden Industriestrukturen in eine neue Industrie überführen kann. Und das ist an sich auch nicht schlecht. Wenn wir aber diesen Ansatz aus einer Gender-Perspektive beleuchten, fällt auf, dass Veränderung oft beim Straßenbau aufhört. Ein Verständnis für die Relevanz von Erziehungs- Bildungs- und Care-Systemen fehlt. Die Annahme, dass Arbeiter einfach nur zum Betrieb kommen müssen, weil sie einen Partner oder eine Partnerin zuhause haben, die sich um die Kinder kümmert, verschleiert den Blick auf die wertvolle Care-Arbeit, die oft von Frauen neben einer 40-Stunden-Stelle geleistet werden muss. Wenn wir also richtiges Gender-Budgeting anwenden würden, könnten wir über die Frage, was Männer oder Frauen brauchen, hinwegkommen und anfangen Gelder einzuteilen, basierend auf dem, was wirtschaftlich und sozial von der Bevölkerung gebraucht wird, sodass alle davon profitieren können.

Welche Personen sind denn besonders sichtbar in diesem Diskurs? Konnten Interessengruppen von gesellschaftlich eher ungehörten Menschen wie Frauen oder queeren Menschen sich durchsetzen?

Ich glaube, dass es eine große Spannweite an Gruppen gibt, die den Eindruck haben nicht wahrgenommen zu werden. Genau da sind Bürgerbeteiligungen relevant, weil sie den Interessen des kleinen Dorfes eine Stimme gegenüber denen eines Großunternehmens geben. Welche Gruppen sich da jetzt durchsetzen kann ich nicht sagen, aber was klar ist, ist, dass der Zusammenschluss der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten und F wie Kraft schon ordentlich Kreise gezogen hat. In dem Zusammenhang war auch der Landtagsbeschluss zum Strukturwandel in Brandenburg wichtig, weil er klar den Bedarf nach Monitoring auch in Bezug auf die Geschlechterperspektive benennt. Geschlecht als strukturierende Kraft muss selbstverständlich implementiert werden. Darauf müssen wir achten und der Beschluss hilft dabei. Da kommen wir wieder zurück auf die Strukturen in den Werkstätten und wie sie verändert werden müssen, damit alle Menschen vor Ort sichtbar werden und die Projekte gewählt werden, die die Gemeinden sowohl wirtschaftlich als auch sozial voranbringen.

 

 

Manuela Dörnenburg...

... ist die äußerst engagierte Gleichstellungsbeauftragte des Landes Brandenburg: https://msgiv.brandenburg.de/msgiv/de/beauftragte/landesgleichstellungsbeauftragte/

 

Paula Walk, Marius Koepchen, Johannes Probst und Josephine Semb...

 ... die Autorinnen des Interviews, sind Wissenschaftler*innen an der Europa Universität Flensburg und der TU Berlin. Sie beschäftigen sich mit der nachhaltigen Transformation des Energiesystems. Dabei legen sie in ihrer Forschung insbesondere einen Fokus darauf, wie diese Transformation einen Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit und insbesondere Geschlechtergerechtigkeit leisten kann.

 

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