VOM REDEN ÜBER ZUM REDEN MIT FRAUEN

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VOM REDEN ÜBER ZUM REDEN MIT FRAUEN

Prof. Dr. Ulrike Gräßel

Vom Reden über zum Reden mit Frauen

Ulrike Gräßel hat diesen Beitrag als Vortrag auf dem Symposium „F wie Kraft – Frauen. Leben. Oberlausitz.“ am 26.1. 2018 gehalten. Uns hat viel Begeisterung darüber erreicht, so dass ihr ihn hier nachlesen könnt.

Sehr geehrte, liebe Frauen und Männer,

ich freue mich sehr, heute den ersten Diskussionsinput geben zu dürfen zu unserem Symposium, der Abschlussveranstaltung unseres Projekts zu den Bleibebedingungen von Frauen in der Oberlausitz.

Mein – sicherlich provokanter – Diskussionsbeitrag steht unter der Überschrift „Vom Reden über zum Reden mit Frauen“. Dabei werde ich mir die Freiheit nehmen, nicht nur zu unserem Projekt allgemein zu sprechen, sondern in einem zweiten Schritt weit darüber hinaus, nämlich zum „Reden über und Reden mit“.

Forschung als Kommunikations- und Aktivierungsprozess

Doch zunächst zu unserem Projekt:

Unser Gesamtprojekt zu den Bleibebedingungen von jungen, gebildeten Frauen in der Oberlausitz war ja quasi zweigeteilt in eine Studienphase, die sich mit der „Verbesserung der Verbleibchancen qualifizierter Frauen im Landkreis Görlitz“ befasste und in dieser Phase Frauen sowie junge Frauen und junge Männer in erster Linie „beforscht“ hat – Sie merken schon, wir sind grade beim „Reden über“ – und in eine zweite Phase unter dem Titel „Geschlechtersensible Willkommenskultur im Landkreis Görlitz“.

Trotzdem die erste Phase der „Beforschung“ jungen Frauen – und als Kontrastfolie dazu selbstverständlich auch Männern beziehungsweise jungen Männern –  galt, war ein wichtiger Ansatz des gesamten Projektes, den Forschungsprozess als regionalen Kommunikations- und Aktivierungsprozess zu konzipieren und durchzuführen. Dieser Aktivierungs- und Kommunikationsprozess sollte letztendlich auch verstetigt werden, was uns übrigens auch – zumindest teilweise! – gelungen ist, und zwar durch diese zweite Phase der Entwicklung einer gendersensiblen Willkommenskultur.

Expertinnen ihrer eigenen Lebenswelt

So war es von Anfang an unser Auftrag und unser Ziel, Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Verbleibchancen junger qualifizierter Frauen (und Männer) im Landkreis Görlitz zu entwickeln. Ein konzeptioneller Baustein war dabei, dies nicht „vom Schreibtisch aus“ zu tun, sondern auf die Erfahrungen und Kompetenzen möglichst vieler regionaler Akteurinnen und Akteure aus Politik und Verwaltung, aus Wirtschaft und Wissenschaft, aus Planung, Bildung und Beratung zurückzugreifen, um gemeinsam mit ihnen und Betroffenen entsprechende Ideen zu entwickeln. Mit „Betroffenen“ meinten wir Frauen, die hiergeblieben sind, die neu angekommen sind bei uns oder die wiedergekommen sind. Diese Frauen als Expertinnen ihrer eigenen Lebenswelt haben wir angesprochen, um MIT Ihnen zu sprechen. So hatten vor allem die Forschungswerkstätten regelmäßig drei Intentionen: Zunächst wollten wir regionale Akteurinnen und Akteure miteinander ins Gespräch bringen – untereinander und mit den Frauen. Dadurch sollten alle Beteiligten zur aktiven (Mit)Gestaltung „ihres“ Landkreises motiviert werden. Stichwort hier: „aktivierende Befragung“, ein uraltes Forschungsinstrument aus der noch älteren Gemeinwesenarbeit bzw. aus dem „Community Organizing“, das übrigens auch Barack Obama damals „gewinnbringend“ – im wahrsten Sinne des Wortes – angewandt hat!

Und letztendlich zielten unsere Forschungswerkstätten, unsere Kommunikationsrunden darauf ab, am Ende jeder Werkstatt zu dem Schwerpunktthema zu entsprechenden Empfehlungen für regionale Entwicklungsperspektiven zu kommen.

Und EINE Empfehlung war die Entwicklung einer gendersensiblen Willkommenskultur – ehrlich jetzt! Das steht auf Seite 33 oben, erste Spalte in unserer Dokumentation! Studie

Miteinander ins Gespräch kommen

Das heißt: Wir haben am Beginn unseres Projektes in der ersten Phase selbstverständlich zunächst einmal ÜBER Frauen geredet im Rahmen einer Bestandsaufnahme für den Landkreis.

Anschließend haben wir aber sofort angefangen, MIT den Frauen zu reden: in besagten Forschungswerkstätten, in Workshops und in Interviews. Das hat sich dann fortgesetzt bzw. gesteigert in der zweiten Projektphase, durch Tischgespräche im Rahmen der ‚ProduzentinnenTour‘, durch Diskussionen im Rahmen des Auftakttreffens zur Gründung eines Arbeitskreises, der die Umsetzung unserer erarbeiteten Handlungsempfehlungen für den Landkreis begleiten soll, und durch Diskussionsrunden zum Thema „Entwicklung einer Website“.

Wir haben miteinander geredet! Wir haben diskutiert und dementiert! Wir haben gestritten, gelästert und gelacht! Wir haben verabschiedet und verworfen! Wir haben unsere Meinungen vertreten und wir haben zugehört. Männer und Frauen! Und das haben wir in einer ganz besonderen Art und Weise getan, und zwar respektvoll und wertschätzend!

Vom Sprechen und Zuhören

Damit sind wir beim Thema „Reden mit“.

Zunächst einmal gab es in unseren Gesprächen KEINE „gegengeschlechtliche Orientierung“, wie ich sie zum Beispiel in gemischtgeschlechtlichen Fernsehdiskussionen belegen konntei. Eine gegengeschlechtliche Orientierung, kurz: ein gewisses Balzverhalten, bedeutet: In gemischtgeschlechtlichen Diskussionen reden Männer mit Frauen, Frauen mit Männern. Aber: wenn es um die Konstruktion eines Gesprächsstatus geht, so arbeiten ALLE am Gespräch Teilnehmenden an einem hohen Gesprächsstatus für Männer – durch Bezüge zum Beispiel und Unterstützungen – aber weder Männer noch Frauen arbeiten an einem hohen Status für Frauen, im Gegenteil: die Akzeptanz von Frauen in Gesprächen wird demontiert durch Unterbrechungen und Scheinbezüge, und zwar von Männern wie auch von anderen Frauen!

Wohlgemerkt: Bei meinen zwangsläufig stattfinden teilnehmenden Beobachtungen konnte ich dieses Phänomen in unseren Diskussionen nicht feststellen!

Nun waren wir zwar doch überwiegend Frauen, doch haben wir auch in gemischtgeschlechtlichen Runden miteinander geredet, allerdings OHNE dass uns Frauen unser „weiblicher Stil“ geschadet hätte!

Ein weiblicher Sprachstil – der sprachliche Ausdruck eines „geschlechtsangemessenen Verhaltens„ii, das kulturell „erwünscht„, vermittelt und vor allem erwartet wird und von den einzelnen Akteurinnen in realen Interaktionen dann mehr oder weniger korrekt oder vollständig umgesetzt wird – ein weiblicher Sprachstil also ist gekennzeichnetiii zum einen durch ein ausgesprochen aufmerksames und unterstützendes Hörverhalten, zum anderen durch Formen der Abschwächung und schließlich durch das Fehlen von Formen dominanten Sprachverhaltens.

Insofern ist das sprachliche Doing Gender von Frauen geprägt von Indirektheit und dem Leisten von Gesprächsarbeit, von Arbeit daran, dass Kommunikation gelingt.

Und warum hat unseren Diskussionen dieser durchaus angenehme, empathische, aber nicht immer unbedingt zielführende Sprachstil nicht „geschadet“?

Zum einen, weil die Frauen trotzdem klar, laut und deutlich gesagt haben, was sie wollen. Und zum anderen, weil die Männer, die mit uns diskutiert haben, in der Regel KEINE dominanten Formen des Sprachverhaltens an den Tag gelegt haben. Das heißt die Männer, mit denen wir diskutiert haben, hatten in der Regel KEINEN belehrenden Zeigefinger erhoben und haben auch NICHT versucht, durch Scheinbezüge, Themenverschiebungen und Pseudodiskussionen die Gespräche zu dominieren. Das sogenannte mansplaining unter dem Motto „Wenn Männer mir die Welt erklären“iv hat in unseren Runden eher selten stattgefunden.

Dass das weiterhin so gut funktioniert, dass Sie einander zuhören, sich ausreden lassen, sich gegenseitig Raum lassen, die Dinge zu Ende zu denken, neue Dinge anzudenken, das wünsche ich den hier anwesenden Akteurinnen und Akteuren, die eine gendersensible Willkommenskultur weiterentwickeln wollen, von ganzem Herzen.

Gendergerechtes Sprechen

Kommen wir abschließend zum „Reden über“, kommen wir zu einem geschlechtergerechten Sprachgebrauch, zu einer gendersensiblen Sprache, auch wenn vielleicht einige von Ihnen von diesem Thema eher genervt sind oder es als „Nebenschauplatz“ abtun. Nein: gendergerechtes Sprechen ist KEIN Nebenschauplatz:

In vielen unseren Handlungsempfehlungen findet sich die Forderung, Frauen sichtbar zu machen, oder wie wir es auf Seite 32 unserer wunderbaren Broschüre formuliert haben: „Frauen aus der Unsichtbarkeit befreien“. Und ein erster Schritt dahin IST die Sichtbarmachung von Frauen in der Sprache. Die sächsische Gleichstellungsministerin hat Recht, wenn Sie in Bezug auf Berufsbezeichnungen sagt „Ich verstehe gar nicht, warum es so schwerfällt, eine Frau als Frau anzusprechen“. Und Sie hat Recht, wenn sie fordert, dass eine gendergerechte Sprache zur Gewohnheit werden soll.

Und warum? Weil zum Beispiel der Sprachwissenschaftler Josef Kleinv, der angetreten ist, um im „Glaubensstreit“ um das geschlechtsneutrale Maskulinum „mit Hilfe empirischer Methoden vom Glauben zum Wissen zu gelangen“ (1988: 310), zeigen konnte, dass „die Benachteiligung der Frau durch das generische Maskulinum (…) keine feministische Schimäre (ist), sondern psycholinguistische Realität.“ (1988: 305) Insofern, so seine Schlussfolgerung, wird die von unzähligen Frauen aufgestellte Forderung nach einer gleichberechtigten Nennung weiblicher und männlicher Formen „zwar nicht zur Beseitigung, sicherlich aber zu einer Abschwächung der Ignoranz gegenüber dem Frauenanteil in Personengruppen“ führen (1988: 319).

Fazit: Machen Sie Frauen sichtbar, sprechen Sie Frauen an, heißen Sie Frauen willkommen, in der Stadt, auf dem Land, im Landkreis Görlitz! Wir haben noch viel zu tun.

 


Ulrike Gräßel, „Aber Sie wissen da sicher mehr darüber!“ Orientierungen von Expertinnen und Experten in Fernsehdiskussionen, in: Friederike Braun, Ursula Pasero (Hg.), Kommunikation von Geschlecht, Pfaffenweiler 1997, S. 88-104

Anja Gottburgsen, Stereotype Muster des sprachlichen doing gender. Eine empirische Untersuchung, Wiesbaden 2000, S. 33

Ulrike Gräßel, Weibliche Kommunikationsfähigkeit – Chance oder Risiko für Frauen an der Spitze? in: Adam, Eva und die Sprache, Beiträge zur Geschlechterforschung, Duden, Thema Deutsch, Band 5, hg. von der Dudenredaktion und der Gesellschaft für deutsche Sprache, Mannheim et al. 2004, S. 56-68

Rebecca Solnit 2015, orig. 2014

Josef Klein, Benachteiligung der Frau im generischen Maskulinum – eine feministische Schimäre oder psycholinguistische Realität?, in: Oellers, Norbert (Hg.), Akten des Germanistiktages 1987, S. 310-319; ders., Der Mann als Prototyp des Menschen – immer noch? Empirische Studien zum generischen Maskulinum und zur feminin-maskulinen Paarform, in: Adam, Eva und die Sprache, Beiträge zur Geschlechterforschung, Duden, Thema Deutsch, Band 5, hg. von der Dudenredaktion und der Gesellschaft für deutsche Sprache, Mannheim et al. 2004, S. 292-307

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