Unterwegs mit Susanne Thäsler-Wollenberg

Abgelaufen

Drei Lausitzer Akteurinnen im Kulturbereich geben Einblicke in ihren Alltag             

                                                               

Von Katrin Kamrau

 

Ich bin mit Susanne Thäsler-Wollenberg im Esperanto-Stacio verabredet. Mit dem Auto mache ich mich auf Richtung Halbe. In dieser internationalen Veranstaltungsstätte am Halber Bahnhof wird gerade die Gruppenausstellung Transform. Aus Rampe wird Kunst gezeigt. Das Esperanto-Stacio ist heute am Tag des offenen Denkmals in Brandenburg gut besucht. Susanne beaufsichtigt die Ausstellung, ehrenamtlich, begrüßt abwechselnd eintretende Besucher*innen, weist auf Hygieneregeln hin oder ist in Gespräche vertieft.

Ich schaue mich um. Es ist nicht mein erster Besuch hier. Für diese Ausstellung, organisiert von den Mitgliedern des Kulturvereins Halbe.Welt e.V., wird das ganze Erdgeschoss des Bahnhofgebäudes einbezogen. Die gelungene Präsentation, die Material- und Formenvielfalt der ausgestellten Werke fallen mir auf.

Susanne, Mitinitiatorin dieser Ausstellung, führt einzelne Besucher*innen durch die Räume. Sie zeigt ihnen Installationen, Keramiken, Objekte und Arbeiten auf Papier; allesamt ortsbezogene Kunstwerke, die aus altem Baumaterial der kürzlich abgerissenen historischen Güterverladerampe des Bahnhofs entstanden sind. Zwölf Künstler*innen aus Brandenburg und Berlin sind an dieser Ausstellung beteiligt. Auch Susanne zeigt zwei kleinformatige Arbeiten.

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Portrait von Susanne Thäsler-Wollenberg im Esperanto-Stacio ©Katrin Kamrau / www.document-architecture.com

Wir haben uns in diesem Frühjahr durch Susannes soziokulturelles Fotografieprojekt Halbe Welt. Ganzes Leben kennengelernt. Dieses hat sie zusammen mit dem Verein SHIA e.V. - Landesverband Brandenburg für Alleinerziehende konzipiert. Sie lud mich ein, eine der Arbeitsgruppen digital zu begleiten. Eine bereichernde Erfahrung während des Lockdowns.

Nach einer Weile kommt Susanne auf mich zu. Es ist das erste Mal, dass wir uns außerhalb des digitalen Raumes begegnen. Inzwischen ist es in der Ausstellung auch etwas ruhiger geworden. Wir ziehen uns hinter den Empfang zurück. Bei einem Tee vertiefen wir uns in ein Gespräch über Susannes Leben, ihre kulturelle Arbeit, ihre Beziehung zur Frauenbewegung und zur bildenden Kunst. Die Teilnahme an Gruppenausstellungen wie dieser in Halbe sind für sie bedeutsam. Eine wunderbare Möglichkeit für den kollegialen Austausch und für kulturelle Vermittlungsarbeit. Beruflich hat sie in den letzten Jahren vor allem partizipative Kunstprojekte organisiert. Für ihre eigene künstlerische Praxis benötigt sie eine gute Balance aus Interaktion und Freiraum für konzentriertes Arbeiten.

Susanne zählt sich zur späten 68er-Generation. Aus einer Arbeiterfamilie stammend hat sie, nach einer Lehre zur Farblithografin und Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, Kunstpädagogik und Experimentelle Bildhauerei bei Christiane Möbus an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig studiert – Möbus war eine der ersten weiblichen Lehrenden dort. Susanne beschreibt sich als frauenbewegt, hat in ihren Studienjahren die Frauengalerie Gegenlicht mitbegründet, setzt sich kollektiv und künstlerisch mit kulturellen Gewohnheiten auseinander. In den Jahren nach ihrem Studium entwickelte sie eine reiche Palette künstlerischer Ausdrucksformen, die Body Art, Installation und Performance einschließen. Ein Stipendium führte die Künstlerin für eine Weile ins Ausland. Ihre Zeit teilte sich Susanne zwischen Brotjobs und ihrer künstlerischen Arbeit auf.

Vereinzelt betreten noch Gäste die Ausstellung. Susanne begrüßt diese und führt gekonnt mit wenigen Worten in die Ausstellung ein.

Als ich einige Portraits von Susanne in der Ausstellung fotografiere, betritt ein einzelner älterer Mann das Esperanto-Stacio. Er trägt zwei Hörgeräte, schaut sich um. Auch ihn begrüßt Susanne freundlich, lässt ihn schauen. Wir machen weitere Aufnahmen in einem Nebenraum, als er sich mit einigen Fragen an Susanne wendet. Ganz offensichtlich kann er wenig mit den Kunstwerken anfangen. Ich ziehe mich in unsere Tee Ecke zurück, lasse sie sprechen. Bedingt durch seine Hörgeräte spricht der Mann recht laut. Einige seiner Wortfetzen dringen zu mir hinüber: “... so’ne Scheiße kauft doch keiner ... aber ist Anregung, ne ...“.

Kurz darauf setzt sich Susanne wieder zu mir, wir führen unser begonnenes Gespräch fort. Susanne erzählt von ihrer kunstpädagogischen Arbeit an einer Gemeinschaftsschule in Berlin-Neukölln. Nach finanziell herausfordernden, unsteten Jahren in West-Berlin als freiberufliche Künstlerin und Initiatorin der Produzentengalerie Querformat nahm sie zunächst eine Vertretungsstelle an dieser Schule an. Es sollten über 20 Jahre werden. Sie berichtet von zahlreichen engagierten Kunstprojekten, die sie in den Folgejahren als Kunsterzieherin an der Fritz-Karsen-Schule mit Schüler*innen und Künstler*innen im städtischen Kontext umsetzen konnte, von ihrem Vertrauen in kreative Prozesse, von zahlreichen Fort- und Weiterbildungen, von kulturellen Bildungsprogrammen des Bundes, wie KUBIM, an denen auch sie wachsen konnte. Sie wirkte mit an der Veränderung des Kunstunterrichtes durch die Zusammenarbeit mit Künstlern an der Schule, zum Beispiel durch das partizipative Zeitzeugenprojekt Feuerzeugen mit dem Künstler Kain Karawahn oder dem fächerübergreifenden Projekt Farbmolekül mit der Berliner Künstlerin Annet Lau.

Auch von innerschulischen Herausforderungen, von ihrer intensiven Auseinandersetzung mit Bedeutungen und Potentialen künstlerischer Arbeit als Teil gesellschaftlicher und erkenntnistheoretischer Prozesse, sowie von fachlichen Anerkennungen ihrer kulturellen Bildungsprojekte berichtet sie.

Beim Verlassen des Ausstellungsortes sieht der ältere Mann uns hinter dem Empfang sitzen. Auch wenn bereits durch Susanne verabschiedet, möchte er sein Gespräch doch gern noch fortführen. Hierfür umrundet er den Empfang und kommt näher, auch um unsere Stimmen, gedämpft durch das Tragen medizinischer Masken, zu verstehen.

Susanne fragt ihn nach seinem Wohnort — ihm gefallen meine „so schönen Augen“. Nachdem Susanne ihre Frage mehrfach wiederholt hat, antwortet er schließlich, nennt den Ortsnamen. Er erzählt von Vorurteilen anderer gegenüber seinem Heimatort, sagt, er verstünde sich als dessen Botschafter; Worte wie: „Nicht alle Einwohner seien rechts“ und „Ich habe damals auch geklatscht, aber ...“ fallen. Der Monolog nimmt weitere Wendungen. Ich merke, wie mich seine übergriffige Art und das Gesagte zunehmend emotional packen, weiß nicht recht, wie ich mich positionieren soll, habe aber auch gerade gar keine Lust auf diese Art der emotionalen Arbeit. Ich wende mich Susanne zu, frage wie es ihr als Gastgeberin geht.

Auch noch lange nach seinem recht widerwilligen Abgang sprechen Susanne und ich über das eben Erlebte. Ich frage, wie sie in ihrer kulturellen Arbeit mit Begegnungen wie dieser umgeht. Zu keinem Moment ist sie laut geworden. Sie erzählt von ihrem Weg, davon, wie sie während ihrer langjährigen kunstpädagogischen Tätigkeit an der städtischen Gesamtschule mehrfach Kommunikationsstrategien eingeübt, revidiert und neu erprobt hat.

Am nächsten Tag brause ich nach Schulzendorf. Ich bin dort mit Susanne in ihrem Atelier verabredet. Seit 1998 leben Susanne und ihr Partner Jens Wollenberg hier in der Lausitz.

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Atelier Susanne Thäsler-Wollenberg ©Katrin Kamrau / www.document-architecture.com

Susanne nimmt regelmäßig am Brandenburger Tag des offenen Ateliers teil. In diesem Jahr zeigt sie Zeichnungen und kleine Plastiken zum Thema Entropie sowie eine umfangreiche fotografische Arbeit, die sie über zwei Jahre hinweg gemeinsam mit Gisela Michailova in einem nahen Kieswerk erarbeitet hat. Begegnet sind sich die zwei Frauen im Fotoclub Schwarz-Weiß e.V. in Wildau. Ihre kooperative Fotoserie trägt den Titel Die Wanderdüne, ein Thema, das Susanne seit langem begleitet. Während des Tages des offenen Ateliers im August haben die beiden Frauen durch ihre Ausstellung geführt, es gab Musik im Freien und eine Lesung mit Texten zur Entropie.

Für Susanne bietet dieser feste Termin im Jahr eine willkommene Gelegenheit, um Nachbarn, Freunde, Kolleginnen und Kollegen sowie Bekannte aus ihrem sozialen und kulturellen Netzwerk zu sich einzuladen. Für sie ist ihr regionales Engagement Möglichkeit und Notwendigkeit zugleich, um ihre sozialen Bezüge vor Ort zu stärken. Zwar wohnt sie seit mehr als zwanzig Jahren in Schulzendorf, während ihrer Erwerbsjahre war allerdings vor allem die Schule ihr Lebensmittelpunkt; Zeit für die Pflege von lokalen Kontakten blieb kaum.

Dann zeigt mir Susanne noch frühe Arbeiten, Dokumente und Zeitungsartikel aus ihrer Studienzeit an der HfBK Braunschweig. Ein mehrseitiger Artikel zu ihrer Arbeit Metamorphose Zebra von 1984 im kritischen Wissenschaftsmagazin Wechselwirkung fällt mir auf. Ein liebevoll gestaltetes Fotoalbum liegt auf dem Tisch. Auf der Suche nach weiblichen Vorbildern gründete Susanne zusammen mit Kommilitoninnen in Braunschweig die feministische Gruppe um die Galerie Gegenlicht. Auf einigen der Fotografien erkenne ich Susanne, auf anderen Valerie Export; diese hatten die Studierenden zu einem Performanceworkshop an die Hochschule eingeladen. Auch erste Kontakte zu frauengeführten Projekträumen nach West-Berlin, Susannes späterem Wohnort, gehen auf diese kurzlebige, aber prägende Initiative zurück.

Wieder auf dem Weg zu meinem Auto sprechen wir noch über einige aktuelle und kommende Projekte, über Susannes Interesse an einer engen Verknüpfung von Kunst und Kulturarbeit, über das stärkende Potential, das sie in dieser Herangehensweise für die Lausitz sieht und darüber, wie wichtig es auch für sie ist in Kontexten aktiv zu sein, in denen ein Voneinander-Lernen, ein Miteinander-Gestalten möglich sind. Vor kurzem kam eine Förderzusage vom Kulturland Brandenburg für ein partizipatives Kunstprojekt im kommenden Jahr. Susanne möchte zum Thema Jagd mit Künstler*innen der Region zusammenarbeiten — sie freut sich riesig drauf!

Reich beschenkt mit vielen Eindrücken, aufgenommenen Fotos, einem Glas selbstgekochter Marmelade und einigen frischen Chillies im Gepäck fahre ich heim. Das Treffen mit Susanne klingt noch lange in mir nach.

 

Mehr Informationen über Susanne:

Katrin Kamrau...

… ist bildende Künstlerin und Kunstvermittlerin. Die gebürtige Lausitzerin hat Fotografie & Medien an der Fachhochschule Bielefeld und Kunst mit Schwerpunkt Fotografie (M.A.) an der Kunstakademie in Gent studiert. Als Freiberuflerin macht sie sich für kulturelle Teilhabe auf Augenhöhe stark. Sie arbeitet für (sozio-)kulturelle Initiativen und Institutionen der zeitgenössischen bildenden Kunst - am liebsten mehrsprachig und hands-on - zu drängenden gesellschaftlichen Fragen und (bild-)kulturellen Themen. Mehr: www.katrinkamrau.de

 

 

 

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