HERWIGSDORFER UNIKATE IN GOLD

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HERWIGSDORFER UNIKATE IN GOLD

Rosenbach, eine kleine Gemeinde an der B6, zwischen Löbauer Berg und Rotstein. Einer der vier Ortsteile ist Herwigsdorf. Dort gibt es, neben einer tausendjährigen Eiche und einer Kirche mit barockem Türmchen auf dem schlichten Dach, auch dies: Ein Hausprojekt. Zugezogene, Zurückgekehrte, junge Familien. Die Tür geht auf, Anika winkt mich rein. Sie ist einer dieser Menschen, die viel Energie, Tatkraft und Freude ausstrahlen. Auch abstrahlen – wenn man mit ihr zusammen ist, werden die Gesten unwillkürlich größer, das Gespräch lebhafter, das Lachen lauter. Anika ist Anousch – Goldschmiedin und Unternehmerin mit eigenen Schmuckkreationen. Sie nimmt mich mit in die Welt, die sie und ihre Familie sich hier gemeinsam mit anderen geschaffen haben.

Hier in Herwigsdorf lebt sie mit ihrem Partner und zwei Kinder, hier hat sie ihre Goldschmiedewerkstatt. Gelernt hat die gebürtige Thüringerin das Handwerk in Arnstadt. Sie hat in Leipzig gelebt, lange auch in Berlin. Warum jetzt die Oberlausitz, warum Herwigsdorf? „Das war mehr oder weniger Zufall“, erzählt sie, „ich war schwanger und eine Etage in einem Hausprojekt war frei. Die Miete in Berlin war sauteuer und in der Oberlausitz kannten wir einige Leute. Mit der Besichtigung der Räumlichkeiten ist meinem Freund und mir dann klar geworden, was man hier noch alles auf die Beine stellen kann, was platzmäßig hier einfach geht und was in Berlin undenkbar in den nächsten Jahrzehnten ist.“ Die leeren Räume ließen die Ideen sprießen: Von Holz- und Goldschmiedewerkstatt bis zur Ferienwohnung, Goldschmiedeworkshops, Sauna, Proberäume, ein eigener Garten – vieles war denkbar. Aber was davon hat sich, nach acht Jahren in dem kleinen Ort, auch als machbar erwiesen?

Bei der Arbeit II: Feilen an der Werkbank in Rosenbach (Photo A. Bomm) 

Vor allem ihre Werkstatt hat sich als Dreh- und Angelpunkt fürs Arbeiten und Wohnen etabliert, hier werden nicht nur Edelmetalle, sondern auch Pläne geschmiedet. Hier hat vieles seinen Anfang. Sie beschreibt sie so: „Es ist ein geschlossener Raum, der eine Tür hat, die auch zu geht. Das ist mir wichtig, denn vorher, in der Mietwohnung, hatte ich meine ‚Werkstatt‘ im Wohnzimmer und das war auf Dauer keine Lösung.“ Wirklich zu ist die Tür dann aber doch nur selten, da sich in diesem Raum eigentlich alles mischt. „Meine Hobbys, mein Beruf – eigentlich ein Raum, in dem ich mich kreativ ausleben kann und der unordentlich sein und bleiben darf.“

Im Gespräch kehrt sie immer wieder zu diesem Ort zurück, der ihr Rückzug und Ausgangspunkt ist, das Herzstück ihrer schöpferischen Tätigkeit. Hier recherchiert und probiert sie Techniken wie Linolschnitt, Tape Art und Aquarellmalerei. Hier entwirft und fertigt sie Schmuckunikate aus Silber und Kupfer. Sie fasst Edelsteine, entwickelte aber auch die Idee, Microchips und Fragmente von Leiterplatten zu verarbeiten. Und noch etwas kommt immer wieder zur Sprache, wenn sie über kreative Prozesse nachdenkt: Musik. In den arbeitsreichen Abenden und Nächten der Vorweihnachtszeit, wenn sie, wie sie sagt, im Technotakt den Schmiedehammer schwingt oder sich in Hörspiele vertieft – dann ist Musik der schnellste Weg zu innerer Ruhe, Konzentration und ein willkommener Ausgleich zum Arbeits- und Familienalltag. Es geht aber auch anders: draußen, laut, mit vielen zusammen, auf Konzerten und Festivals. Musik als Möglichkeit, Kraft zu tanken und mit Leuten in Kontakt zu kommen, die nichts mit Beruf und Karriere zu tun haben.

Gemeinsame Erlebnisse sind auf dem Land wichtiger geworden. In Berlin war es ihr oft zu viel, ständig unter Menschen zu sein. „Das kann schon das Gemüt beeinflussen, wenn man in Friedrichshain vor die Tür geht und mal eben inmitten hunderter Zuschauer ist“. Gerade als Mutter schätzt sie die Zurückgezogenheit hier. Der Druck, sich ständig mit anderen Müttern vergleichen (lassen) zu müssen, ist geringer. Die Kinder können sich freier bewegen, sind im Garten unterwegs und haben kurze Wege zu Schule und Kita. „Ich muss nicht mehr auf irgendeinem „Spieli“ rumhängen und mich langweilen“ freut sich Anika. Bevor unser Gespräch sich vollends zu einem Lobgesang aufs Landleben entwickelt, setzt sie den beschaulichen Gedanken aber ein vorläufiges Ende. Ganz so einfach sei es schließlich auch nicht. Die ersten drei Jahre waren, „sehr sehr anstrengend und überhaupt nicht idyllisch. Von wegen weniger Miete zahlen, weniger arbeiten, mehr Zeit für die Kinder! Das hat echt gedauert, bis wir hier genug Geld verdient haben.“ So einfach, wie es manchmal dargestellt würde, sei das mit dem Zurückkommen oder Freiräume nutzen nicht. Sie kennt viele, die zum Arbeiten in andere Bundesländer pendeln, erzählt sie. Dort verdienen sie mehr und finanzieren so ihr Landleben „in der Heimat“.

Arbeitsplatz in Herwigsdorf (Photo A.Bomm)

Der finanzielle Druck ist in der Provinz also nicht unbedingt geringer geworden. Echte Nachteile gegenüber der Stadt sind aber, überlegt Anika, die fehlenden Kulturangebote und die weiten Wege. Abends mal in die Kneipe, ins Kino, zu einer Freundin, ohne fahren oder gleich dort übernachten zu müssen. Öfter mal raus aus dem Dorf, das muss gehen, dafür nimmt sie auch weitere Wege in Kauf. Privat ist sie häufig in Görlitz, Freund:innen besuchen, im Fitnessstudio den Kopf frei machen. Mit ihrem Schmuck fährt Anousch ganzjährig auf Märkte – viel im Landkreis, aber auch mal bis Leipzig. Unterwegssein ist ein wichtiger Teil ihrer schöpferischen Arbeit. Auf den Märkten hat sie Gelegenheit, sich mit alten Kolleginnen auszutauschen, neue kennen zu lernen, sich und ihre Arbeit im Gespräch mit Kunden zu reflektieren, viel Neues aufzusaugen. Diese Begegnungen formen und schärfen den eigenen Stil immer weiter. Zurück in Herwigsdorf fließen ihre Beobachtungen dann in die neue Kollektion ein oder helfen, spezielle Wünsche umzusetzen.

Die Präsenz auf vielen Handwerkermärkten hat ihr eine weitläufige, vielfältige Kundschaft eingebracht, die ihre Entwürfe schätzt und gezielt mit Wünschen auf sie zukommt. An unzähligen Ringfingern stecken Eheringe aus ihrer Schmiede. Als Anika stolz berichtet, dass sie mittlerweile auch aus der direkten Nachbarschaft einige Aufträge erhalten habe, wird aber etwas anderes deutlich. Dass neben der Anerkennung durch ein breiteres, an Goldschmiedekunst interessiertes Publikum auch dies so wichtig ist: In der unmittelbaren Nachbarschaft gesehen und anerkannt zu werden. Die Dorfgemeinschaft als Echokammer des eigenen Tuns – Komplimente stilsicherer Leipziger:innen sind schön, Resonanz aus Herwigsdorf noch ein bisschen schöner. Das schwingt mit, wenn sie von den Theateraufführungen und kleinen Konzerten erzählt, die die Hausbewohner:innen im Sommer im eigenen Garten organisieren: „Es gibt schon ein paar Leute, die sicherlich nicht so richtig verstehen, wie wir so leben mit den ganzen Leuten im Haus. Aber wir machen sommerliche Veranstaltungen, wo sich die eine oder der andere Herwigsdorfer zu uns gesellt und einfach fragt, wie wir so wohnen. Das ist schön und die meisten Leute sind wirklich nett und aufgeschlossen.“

Mittlerweile nimmt auch ein anderer Plan langsam Gestalt an. Bisher hat sie Goldschmiedeworkshops nur im Freundes- und Bekanntenkreis angeboten. Das hat allen Beteiligten viel Spaß gemacht, so dass sie das Angebot sicher zum festen Teil ihres Arbeitsjahres machen wird.

Was ihr Leben zwischen Märkten, Werkstadt, Stadt und Land noch ein bisschen einfacher machen würde? Oder besser? Sie lacht und träumt von einem Kultur-Shuttlebus, der zwischen den Oberlausitzer Städten unterwegs ist und sie nachts auch mal wieder nach Herwigsdorf bringt. „Eine echte Erleichterung wäre aber kostenlose Kita- und Hortbetreuung. Arbeiten, um sich die Kinderbetreuung leisten zu können ist nämlich genauso sinnfrei, wie die Kinder in die Kita zu stecken, damit man arbeiten darf.“

Mehr zu den einzelnen Schmuckstücken von Anika gibts hier.

Claudia Ehrig lebt seit einigen Jahren mit ihrer Familie in Görlitz.

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