Gleichstellung und queer zusammendenken

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Gleichstellung und queer zusammendenken

Können Gleichstellungsarbeit und queere Interessen zusammengedacht werden? Dieser Frage haben wir uns im Rahmen unserer Masterarbeit gewidmet, in der wir uns mit der Berücksichtigung von queeren Perspektiven und dem Selbstverständnis von Gleichstellungsbeauftragten in der sächsischen Gleichstellungsarbeit beschäftigt haben. Die Arbeit wurde im Mai 2020 verteidigt und nun auch online publiziert. Die empirische Basis war eine Befragung der sächsischen Gleichstellungsbeauftragten aller Landkreise und kreisfreien Städte im Zeitraum von Oktober 2019 bis Februar 2020.

Welche Erkenntnisse wir hatten und wo noch Handlungsbedarf besteht, stellen wir in diesem Artikel vor.

Brauchen queere Menschen Gleichstellung?

Vorurteile und Diskriminierung, häufige Gewalterfahrungen, geringere Bezahlung und gesellschaftliche Stigmatisierung – die Liste an Missständen, denen queere Menschen bzw. LSBTIQ*[1] ausgesetzt sind, ist lang. Auch und besonders in Sachsen. Das Bundesland, welches besonders im ländlichen Raum vom Strukturwandel betroffen ist und sich noch mehr bemühen muss, junge, qualifizierte und (ja, auch) queere Menschen zu halten und anzuziehen, bildet diesbezüglich leider keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil: Im Vergleich mit den anderen Bundesländern belegt Sachsen in Bezug auf die Akzeptanz sexueller Vielfalt den letzten Platz[2] und in der sächsischen Bevölkerung ist eine homophobe Denkweise nach wie vor stark verbreitet[3]. Die Ursachen sind vielfältig, die Anlaufstellen und Unterstützungsstrukturen für Betroffene sind es nicht. Doch gerade in Sachsen, das sich Weltoffenheit auf die Fahnen schreibt und die Akzeptanz und Toleranz unterschiedlicher Lebensentwürfe als schützens- und fördernswert erachtet, muss kritisch gefragt werden: Wer ist zuständig und kann sich für die Belange queerer Menschen einsetzen?

Der bereits 2015 formulierte „Landesaktionsplan zur Akzeptanz der Vielfalt von Lebensentwürfen“ benennt, dass zum Erreichen einer „[g]leichberechtigte[n] Partizipation von LSBTTIQ in Politik und Zivilgesellschaft“ die Sensibilisierung und Qualifizierung der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten (GSB) benötigt wird und verweist damit auf die institutionelle Anbindung, die diese Themen benötigen. Das Wirken zivilgesellschaftlicher Akteur*innen und Vereine kann weder den Bedarf decken, noch kann es die Mittel zur Verfügung stellen, die es braucht, um einerseits die Opfer zu schützen und andererseits Bildungsarbeit zu betreiben. Dass seit November vergangenen Jahres im Sächsischen Staatsministerium eine eigene Beauftragte für LSBTIQ*-Belange berufen wurde, die zugleich auch für das Thema der Gleichstellung zuständig ist[4], verdeutlicht, dass auch hier erkannt wurde, dass die Themen Gleichstellungsarbeit und queere Belange zusammengedacht werden müssen.

Auf der Suche nach vielfältiger Gleichstellungsarbeit …

Für uns liegt der Zusammenhang zwischen Gleichstellungsarbeit und queeren Interessen im Grundsatzverständnis. Unseres Erachtens ist Geschlecht als Begriff und Kategorie diverser zu verstehen als nur als binäre Einteilung in „Mann und Frau“. Wir vertreten ein queeres Verständnis des Geschlechterbegriffs. Das bedeutet für uns, dass geschlechtsspezifische Stereotype aufgedeckt und (un-)bewusste Denkmuster sichtbar gemacht werden müssen, um letztendlich auch die dahinterliegenden Machtverhältnisse zu erkennen und zu verstehen. Denn durch das traditionelle Gesellschafts- und Geschlechterverständnis werden vor allem weiße, heterosexuelle cis-geschlechtliche[5] Menschen privilegiert. Das zeigt sich in aktuellen Diskursen, unter anderem bei den Themen Ehe für alle, rassistisch motivierte Polizeigewalt oder auch Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. Queeres Denken bildet eine fortschrittlichere Perspektive auf Geschlecht, da es ermöglicht, vielfältige Ungleichbehandlungen in Bezug auf Geschlechtlichkeit und Sexualität zu erkennen, zu benennen und ihnen entgegenzuwirken. So zum Beispiel, indem versucht wird, biologische Merkmale von gesellschaftlichen Stereotypen zu entkoppeln oder auch, indem die Allgegenwärtigkeit heterosexueller und binärer Denkmuster durchschaubar gemacht wird. Es beschreibt damit auch eine Politik der Sichtbarmachung und eine reflexive Praxis, in der begriffs-, identitäts- und heteronormativitätskritisch gedacht wird. Hier eröffnen sich vielfältige Räume für ebenso vielfältige Ausdrucksformen von Geschlechtlichkeit und Sexualität.

Während viele gleichstellungspolitische Maßnahmen vor allem unter dem Label der „Gleichstellung von Mann und Frau“ stattfinden, war es uns in unserer Forschung wichtig, aufzuzeigen, dass Gleichstellung auch einen Fokus auf die Belange von LSBTIQ* legen sollte.

Wo stehen sächsische Gleichstellungsbeauftragte?

Als Ergebnis der Interviews hat sich gezeigt, dass unter den sächsischen Gleichstellungsbeauftragten ein binäres Denken zu Geschlecht und eine differenzfeministische[6] Perspektive verbreitet sind. Dies spiegelte sich in verschiedenen Aussagen und in Bezug auf ihre Arbeitsschwerpunkte wider.

Wie die Gleichstellungsbeauftragten zu ihren Themen gelangen und worauf ihre Arbeit basiert, haben wir ebenfalls erfragt. Dabei hat sich gezeigt, dass die Wahl der inhaltlichen Grundlagen für die eigene Gleichstellungsarbeit eher auf persönlichen Einstellungen als auf allgemeingültigen Vorgaben beruht, da diese kaum existieren. Leider finden kaum neue theoretische Ansätze und wissenschaftliche Erkenntnisse zum Geschlechterbegriff Einzug in die Gleichstellungsarbeit. Hier plädieren wir für eine diversere Themensetzung, die auch das grundsätzliche Hinterfragen von Machtverhältnissen ermöglicht.

In Bezug auf queere Interessen bot sich auch ein breites Spektrum, was das Zuständigkeitsempfinden angeht. Bereits heute sind sachsenweit viele Gleichstellungs-beauftragte aktiv in Bezug auf die Belange queerer Interessen – sei es, dass sie das Hissen der Regenbogenfahne am Rathaus zum Christopher Street Day[7] initiieren, eine Veranstaltung zum IDAHIT[8] organisieren oder auch mit weniger aufmerksamkeitserregenden Aktionen, wie zum Beispiel kompetenter Vermittlungsarbeit oder langjähriger Unterstützung queerer Vereine. Andere kommen in ihrem Arbeitsalltag nur peripher mit LSBTIQ*-Interessen in Berührung. Hierbei muss aber auch beachtet werden, dass die Rahmenbedingungen je nach Landkreis/Stadt sehr unterschiedlich sind. So verfügen beispielsweise Leipzig und Dresden über eigene Beauftragte für LSBTIQ* während in anderen Landkreisen generell kaum Budget für frei gewählte Themen/Veranstaltungen zur Verfügung steht.

Nach den Erkenntnissen aus der Untersuchung bleibt die Frage: Was sollte nun konkret geschehen? Dass die Gleichstellungsbeauftragten nicht allein die Missstände und Denkstrukturen verändern können, sollte klar sein – allerdings verfügen sie über zahlreiche Potenziale, um die bestehenden Ungleichbehandlungen in Bezug auf Geschlechtlichkeit sichtbar zu machen bzw. abzubauen. Sie sind proaktiv und gewohnt, öffentlichkeitswirksam Veranstaltungen zu organisieren und Themen zu setzen. Sie besitzen funktionierende Netzwerke, haben individuell vielfältige Vorstellungen von Geschlecht und empfinden sich queeren Belangen gegenüber überwiegend zugeneigt.

Was es noch braucht …

Bildungsangebote, die den Gleichstellungsbeauftragten die Lebensrealität von queeren Menschen näherbringen, können sie sensibilisieren und darin schulen, wie sie mit ihrer Arbeit dazu beitragen können, Diskriminierung von LSBTIQ* abzubauen.

Außerdem benötigen sie zusätzliche Kapazitäten – sowohl zeitlich, finanziell, als auch personell – damit eine aktive Interessenvertretung begünstigt und die Gleichstellungsbeauftragten auch in ihrer Rolle als Multiplikatorinnen aktiver werden können.  

Es ist zu hoffen, dass die Erfahrungen der Gleichstellungsbeauftragten und deren Potenziale einfließen, wenn es darum gehen soll, geeignete Maßnahmen festzuschreiben, um die Gleichstellungsarbeit so zu gestalten, dass dabei zukünftig die Interessen von Menschen aller Geschlechts(un)zugehörigkeiten – mögen sie noch so vielfältig und plural sein – berücksichtigt werden können.

 

[1] Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transpersonen, Intersexuelle und queere* Menschen

[2] Arant, R., Dragolov, G., Gernig, B. & Boehnke, K. (2019). Zusammenhalt in Vielfalt. Das Vielfaltsbarometer. 2019 der Robert Bosch Stiftung. Stuttgart: Robert Bosch Stiftung.

[3] Küpper, B., Zick, A. & Berghan, W. (2015). Abwertung gleichgeschlechtlich liebender Menschen in Nordrhein-Westfalen. Aktualisierung der Sonderauswertung zur Homophobie (Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen, Hrsg.) (Nr. 164).; Schlinkert, R., Klaus, S., Mayer, F. & Mertens, M. (2018). Sachsen-Monitor 2018. Ergebnisbericht (dimap – das Institut für Markt- und Politikforschung GmbH, Hrsg.). Zugriff am 12.03.2021. Verfügbar unter https://www.staatsregierung.sachsen.de/download/ergebnisbericht-sachsen-monitor-2018.pdf

[4] Sächsisches Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (Hg.). 02.11.2020. Andrea Blumentritt tritt Dienst an. Zugriff am 12.03.2021. Verfügbar unter https://www.justiz.sachsen.de/smj/andrea-blumtritt-tritt-dienst-an-4629.html

[5] Identifikation mit dem Geschlecht, das bei der Geburt zugewiesen wurde.

[6] Beschreibt eine Denkrichtung des Feminismus, bei der besonders auf die vermeintliche Gegensätzlichkeit der Kategorien „Frau“ und „Mann“ verwiesen wird.

[7] Gedenk- und Demonstrationstag, an dem für die Rechte von LSBTIQ* demonstriert und auf ihre Diskriminierung aufmerksam gemacht wird.

[8] Internationaler Tag gegen Homo-, Inter- und Transfeindlichkeit, welcher am 17. Mai begangen wird.

Die vollständige Arbeit ist abrufbar über die Plattformen Socialnet (https://www.socialnet.de/materialien/29176.php) und Qucosa (//slub.qucosa.de/landing-page/?tx_dlf[id]=https%3A%2F%2Fslub.qucosa.de%2Fapi%2Fqucosa%253A74116%2Fmets).

BERNADETTE ROHLF…

… hat in Görlitz Management Sozialen Wandels (M. A.) studiert, ist freiberuflich tätig und engagiert sich im feministischen*forum (instagram: @feministisches_forum) und bei Sohland lebt! e. V. (https://sohlandlebt.de/).

JENNY BARTHEL …

… lebt in Görlitz, hat hier Management Sozialen Wandels (M. A.) studiert und liebt es, sich mit Themen rund um Sexualität und Begehren zu befassen. Außerdem ist sie freiberuflich als Trainerin und Coach unterwegs.

Foto: https://unsplash.com/photos/lKaOHFtxH1Y

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